So steigt man ins Sammeln früher E-Gitarren ein

Unter den herausragenden Bildern im Pioneers-Abschnitt von The Pinecaster, einer neuen Buchreihe von Nacho Banos und Lynn Wheelwright, befindet sich eine Seite aus einem Montgomery Ward-Versandkatalog von 1937. Sie zeigt ein paar von Gibson hergestellte E-Gitarren, eine spanische Archtop-Gitarre, eine Hawaii-Gitarre mit kleinem Korpus und die zündende Überschrift "Now the Man in The Last Row Can Hear", die zusammenfasst, wie die aufkommende Revolution der E-Gitarren Mitte der 30er Jahre explodierte.

Lynn Wheelwright erklärt, dass die in dieser Anzeige gezeigte Recording King 1270 Archtop dem Produktionsbeginn der Gibson ES-150 vorausging, die üblicherweise als die erste spanische E-Gitarre des Unternehmens bezeichnet wurde. Tatsächlich waren die 1270 und ein ähnliches Old Kraftsman 8709-Modell für den Spiegel-Katalog mit wenigen Wochen Vorsprung die ersten ES-Gitarren, die bei Gibson vom Band liefen. Wie Lynn schreibt: "Nicht die ikonische Gibson ES-150 von Charlie Christian, sondern ein paar billigere Cousins zweiten Grades namens Recording King und Old Kraftsman".

The Pinecaster Collection
The Pinecaster Collection

Dies ist eine von vielen großen und kleinen Offenbarungen in der mächtigen, limitierten Pinecaster-Box. Sie ist in vier Bücher unterteilt, die die Geschichte von Fenders ersten E-Gitarren erzählen und den Zeitraum von den 20er bis Mitte der 50er Jahre abdecken. Außerdem enthält es Memorabilia-Repros, eine App mit Video-Demos, unter anderen von Deke Dickerson, sowie Artworks von Billy Gibbons.

Lynns Buch Pioneers erforscht die Ursprünge der E-Gitarre in den 20er und 30er Jahren und die drei folgenden Bücher analysieren detailliert, wie Leo Fender und sein Team auf diesen Grundlagen aufbauten, um ihre frühen Esquire, Broadcaster und Telecaster zu bauen (und vor der Esche, ja, da gab es noch Kiefer).

Lynn ist bestens qualifiziert, eine solche Geschichte zu präsentieren. Er ist ein unermüdlicher Forscher und Sammler, der sich auf die Suche nach schriftlichen Aufzeichnungen, sachlichen Beweisen und echten Exemplaren der betreffenden Instrumente begibt, um eine echte Zeitleiste zu erstellen und die wichtigsten Personen und Unternehmen zu identifizieren.

Alles begann vor fast 40 Jahren, als er den Gitarristen Alvino Rey kennenlernte, den er als den König der E-Gitarre in den 30er Jahren bezeichnet, einer Zeit, in der Gibson Alvino einstellte, um bei den frühen elektrischen Experimenten der Firma zu helfen. Lynn wurde nicht nur Alvinos Gitarrentechniker, er witterte auch eine Chance.

"Ich konnte mit dem Mann sprechen, der diese Entwicklung, diese Revolution in Gang gesetzt hat", sagt er mir. "Ich konnte mir seine Geschichten anhören, herausfinden, was er gemacht hat, in seinen Sammelalben stöbern. Das gab mir das Gefühl, dass es etwas gab, das ich unbedingt tun musste—die vollständigste Sammlung früher elektrischer Instrumente aller Zeiten zusammenzustellen. Natürlich hatte ich damals keinen wirklichen Plan, nur wenige Bücher und kein Internet. Ich musste einfach durch die Dunkelheit laufen und über Dinge stolpern."

Epiphone Zephyr
Epiphone Zephyr aus den 30er Jahren

In den folgenden Jahren hat er einige beeindruckende Dinge ans Licht gebracht und eine einzigartige Sammlung zusammengestellt. "Ich habe versucht, die frühesten und dann die nachfolgenden Exemplare zu finden, was mir auch weitgehend gelungen ist, um sie forensisch zu untersuchen und herauszufinden, wie sie funktionieren."

Er besitzt die dritte oder vierte jemals hergestellte Rickenbacker und die früheste Gibson E-Gitarre, die er finden konnte, von der er ziemlich sicher ist, dass sie der Prototyp ist. "Auch die früheste Epiphone und die früheste Dobro All-Electric. Ich habe frühe Regal, Kay, Vega und die früheste Vivi-Tone, die ich kenne, eine Bratsche. Ich besitze fast jedes bekannte erste elektrische Instrument von allen Firmen, sowie die darauffolgenden Modelle."

Eine Bratsche? Das ist ein wichtiger Punkt. Als Lynn seine Sammlung zusammenstellte, war es ihm egal, ob es sich bei den Instrumenten um Gitarren, Mandolinen oder Geigen handelte. "Denn es ging nicht um den 'Rahmen', der den Tonabnehmer hielt", erklärt er. "Ich interessierte mich für die Technologie, die Entwicklung und das Design des Tonabnehmers". In Lynns Geschichte ist der Tonabnehmer das Wichtigste. "Denn das ist alles, was eine E-Gitarre ausmacht. Man kann einen Tonabnehmer auf ein Kantholz kleben, einen Hals draus schnitzen, und schon hat man eine E-Gitarre."

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Dobro Model 37

Es gibt noch eine andere Typen-Einteilung, die ihn verwirrt. "Warum stecken die Leute spanische und hawaiianische E-Gitarren in verschiedene Gruppen, wobei die hawaiianische immer in der Untergruppe 'das ist keine Gitarre' landet? Es ist eine Solidbody-E-Gitarre, verdammt noch mal! Und es braucht nicht viel, um das Ding um 90 Grad zu drehen und es wie eine spanische Gitarre zu spielen. Meine Antwort ist immer: 'Es ist die Technik, Dummkopf'. Einen Tonabnehmer kann man in alles einbauen."

Eines der frühesten elektrischen Instrumente, für das Lynn Belege hat, ist eine rudimentäre elektrische Synthesizer-Violine, die ein gewisser Frederick W. Dierdorf aus Rochester, NY, erfunden hat. Frederick zeichnete 1922 einen groben Entwurf und meldete zwei Jahre später ein Patent an, aber nach verschiedenen Versuchen, Hersteller zu interessieren, endete seine Geschichte vor Gericht.

"1943", so Lynn, "versuchte er, seinen rechtmäßigen Platz in der Geschichte zu verteidigen, und reichte eine Klage gegen den Branchenriesen Gibson, Inc. ein. Er war pleite, vertrat sich selbst und die Gerichtsprotokolle lesen sich wie eine Tragikomödie. Gegen Gibsons erfahrene Anwaltskanzlei musste er eine deutliche Niederlage einstecken."

Fredericks Originalpatent ist älter als die frühesten E-Gitarrenentwürfe, die im Buch Pioneers beschrieben werden und die in den späten 20er und frühen 30er Jahren mit Stromberg-Voisinet (später Kay), Vivi-Tone und Ro-Pat-In/Electro String/Rickenbacker ihren Anfang nahmen. In dieser Zeit finden wir den bemerkenswerten George Beauchamp. Er ist der Mann, den Lynn nennt, als ich nach dem bedeutendsten Innovator und Unternehmen in dieser Geschichte der bahnbrechenden elektrischen Saiteninstrumente frage. "George und Electro String haben den ersten bekannten elektromagnetischen Wandler mit direkter Saitenbetätigung entwickelt, hergestellt und erfolgreich vermarktet", erklärt er.

Der nächste in der Reihe wäre Dobro, im Jahr 1933. "Er hat den Tonabnehmer—der übrigens brummfrei war—so umgestaltet, dass der Magnet beim Spielen nicht mehr im Weg war. An nächster Stelle kommt, wer auch immer 1935 den Regal-Tonabnehmer entworfen hat, ein erstaunliches, futuristisches Werk technischer Genialität."

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Audiovox 7-String Model Lap Steel aus den 30er Jahren. Foto: Guitar Vintners.

Und, natürlich, Gibson. "Nachdem Gibson sich vergewissert hatte, dass die Gewässer sicher waren, steigerte das Unternehmen das Interesse an E-Gitarren mit seiner Produktionskapazität und seiner gewaltigen Vertriebskraft. Und so sehr ich Lloyd Loar und seine Entwürfe für Vivi-Tone auch schätze, sie waren einfach ein bisschen zu schräg und im Vergleich zu den Beauchamp- und Dobro-Entwürfen ein bisschen schwerfällig."

Allen, denen das Buch Pioneers und die darin enthaltenen Ausführungen über National, Audiovox, Slingerland, Harmony und die restlichen Firmen Appetit auf etwas Ungewöhnlicheres als eine weitere Les Paul geweckt hat, ist es durchaus möglich, selbst einige dieser Artefakte aus den Anfängen der elektrischen Ära in die Hand zu bekommen. "Man kann eine gute Lap Steel aus den 30ern für den Preis einer guten Ibanez kaufen. Das ist keine große Sache", sagt Lynn. Eine Electric Spanish aus den 30er Jahren wäre jedoch wesentlich teurer und schwerer zu finden.

In einigen Videos des Pinecaster-Sets ist Julian Lage zu sehen, der Lynns Sammlung durchspielt und dabei immer wieder einen Kommentar abgibt. "Julian sagte, wie wundervoll die Instrumente seien, und er fragte immer wieder: 'Warum werden die nicht mehr hergestellt? Und ich dachte: Nun, weil die Zeit voranschreitet und sich die Geschmäcker ändern. Es gibt eine Reihe unabhängiger Gitarrenbauer, die immer noch Exemplare der ES-150 herstellen, aber niemand interessiert sich für das Dobro-Design oder besonders für das Regal-Design, das mich einfach umhaut", sagt er. "Und ich denke, das liegt an ihrer relativen Unbekanntheit. Von der Regal zum Beispiel gibt es nur zwei Exemplare. Und ich besitze sie beide!"

Denjenigen, die sich so sehr von diesen Instrumenten angezogen fühlt, dass sie selber welche finden wollen, rät Lynn dazu, einen Schwerpunkt zu setzen. "Willst du Dinge, die historisch wichtig sind? Willst du sie sammeln, um sie zu spielen? Willst du coole elektrische Kunst aus den 30er Jahren an der Wand hängen haben? Willst du die Technologie erforschen, so wie ich es getan habe? Recherchier ein wenig, lies ein paar Bücher, schau im Internet nach", schlägt er vor, "und entscheide, was du erzielen willst."

1939 gibson es-150
1939 Gibson ES-150. Foto: Dayton Vintage Guitars & Amps.

Am einfachsten ist es wohl, mit Gibson anzufangen, einfach weil die Firma am produktivsten waren. "Aber wenn man sich, so wie ich, für die Entwicklung und das Design interessiert, muss man sich mit den obskuren Instrumenten befassen", sagt Lynn. "Wie ich schon sagte, war es mein Ziel, als ich vor einer Million Jahren damit anfing, das früheste Exemplar eines jeden elektrischen Instruments zu finden. Denn ich dachte, wenn man die Evolution und Entwicklung studieren will, muss man bei Null anfangen. In der Mitte geht das nicht."

Lynn meint, dass die alte Technologie heute auf dem Radar einer neuen Generation auftaucht. Sie wird wieder cool. Vielleicht ist es also eine gute Zeit für neues Interesse an bahnbrechenden elektrischen Instrumenten? "Frühe Computertechnologie, Apple und so weiter, und Edison-Sachen, frühe elektronische Experimente, Tesla-Spulen—all das wird jetzt neu betrachtet und bewertet. Die Menschen geben ihnen endlich die Bedeutung, die ihnen in der Geschichte zusteht."

Lange Zeit war Lynn verblüfft, dass sich niemand für die frühen E-Gitarren interessierte. Wenn er jetzt zurückblickt, weiß er warum: Ganz einfach, weil sie nichts wert waren. "Als ich in den 80er und 90er Jahren zu Gitarrenmessen ging, fragte ich die Händler: 'Was habt ihr an elektrischen Sachen aus den 30er Jahren da?' Wenn sie überhaupt etwas hatten, sagten sie, es sei im Laden, weil es nichts wert war—nicht mal den Platz im Transporter zur Messe. Es war das rothaarige Stiefkind, das es einfach nicht wert war, hier zu sein. Aber ohne das rothaarige Stiefkind gäbe es die Lake Placid Blue Strat nicht."

Weitere Informationen zum Pinecaster-Boxset unter pinecasterbook.com.


Über den Autor: Tony Bacon schreibt über Musikinstrumente, Musiker*innen und Musik. Zu seinen Büchern gehören Million Dollar Les Paul und Electric Guitars: Design & Invention. Tony lebt in Bristol, England. Mehr Infos unter tonybacon.co.uk.

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