Unter der Lupe: Modulare Synthie-Szene

Es blinkt. Es rauscht, piepst und quietscht. Hunderte Kabel stecken – von außen undurchschaubar chaotisch – an einer Wand zwischen flackernden Lämpchen, bunten Drehknöpfen und einer scheinbar zufälligen Ansammlung von fast außerirdisch anmutenden Geräten. Weder sind wir im Rechenzentrum des CCC, noch im Maschinenraum von Scotty gelandet, sondern bei einem Modularsynthesizer.

Vor einigen Jahren noch als Nerd-Nische belächelt, hat sich die internationale Modular-Szene mittlerweile zu einem rasant wachsenden Pool aus kleinen Liebhaber-Projekten, großen Playern und leidenschaftlichen Anhängern entwickelt. Nicht zuletzt zerrten große Youtuber wie Andrew Huang (1,5 Millionen Abonnenten) oder die Dokumentation „I Dream Of Wires“ (kann hier nach Anmeldung kostenlos angesehen werden) die Knöpfchendrücker und Kabelquäler ins Rampenlicht.

Wie alles begann

Andrew Huang und sein Modular-Synthesizer

Erst in „I Dream Of Wires“ wird endgültig klar gemacht, was jahrzehntelang in der Modular-Synth-Szene heftig diskutiert wurde: der erste Modular-Synthesizer stammt von Don Buchla. Im San Francisco der 60er entwickelte er beeinflusst von der Hippie-Bewegung und ihrem Drang zu experimentieren, seinen ersten modularen Synthesizer, das „Buchla 100 Series Modular Electronic Music System“, und veröffentlichte ihn 1963. Auffällig waren die turmhohen Schränke voller Module an sich schon, mehr denn je lies das Fehlen eines Keyboards sie unzugänglicher und mystischer erscheinen. Die Westküsten-Bewegung der modularen Synthesizer war geboren. Ihr Credo: möglichst frei, möglichst anders, möglichst neu.

Dem gegenüber steht DER Name, den die meisten mit Synthesizern verbinden: Moog. Wo Buchla viel experimentierte, war Bob Moog in seiner Fabrik in der Nähe von New York eher darauf bedacht, die Erzeugung von elektronischen Sounds möglichst vielen Musikern zugänglich zu machen. Und so war bereits bei seinem ersten Modular-Synthesizer 1964 ein Keyboard als Controller dabei. Diesen in sich eher geschlossenen, sich an traditionellen Instrumenten orientierenden Ansatz, schreibt man darum der Ostküste der USA zu.

In den 70ern waren es dann Musiker wie Keith Emerson von Emerson, Lake & Palmer, die die turmhohen Moogs in die Popkultur brachten. Für die größere Verbreitung und den durchschlagenden Erfolg aber waren Moogs und Buchlas modulare Synthesizer zu teuer. So verschwand die Modular-Synthesizer-Szene in den 80er und frühen 90er Jahren fast gänzlich, viele kompaktere Modelle wie der Yamaha DX7 drängten auf den Markt. Die Haltung und der Aufbau der alten Moog- und Buchla-Türme blieb einigen Wenigen überlassen.

Ein Buchla 100 Series (Quelle: Wikipedia/Bennett)

Bis die in Gräfeling bei München ansässige Firma Doepfer 1995 ihren Modular-Synth A-100 vorstellte und mit diesem das Format Eurorack. Die baldige Veröffentlichung von weiteren preisgünstigen Modulen im Eurorack-Format anderer Hersteller wie Analogue Solutions und Analoge Systems führte zu einer schnellen Verbreitung.

Eurorack legte eine genaue Höhe (3HE) und die Stromstärken für die Module fest und stellte damit sicher, dass verschiedene Module verschiedener Hersteller miteinander funktionieren und in ein entsprechendes Case passen. Die Module „kommunizieren“ untereinander mit CV (Control Voltage) und werden über Patch-Kabel (3,5mm Mono-Klinke) verbunden. Seitdem ist die Menge und Vielfalt an Modulen in dem Format derart explodiert, dass es zwar immer noch andere Formate wie 500 Series, MOTM oder Frac gibt, Eurorack aber bei Weitem die größte Verbreitung hat.

How To Eurorack

Das Grundprinzip von Modular-Synthesizern: absolute Entscheidungsfreiheit. Bei einem „normalen“ Synthesizer wie dem Minimoog bekommt man die Module (Oszillator, Filter, Amp, LFO, Hüllkurvenerzeuger, evtl. Sequencer) fest verlötet in einer Box. Das schafft Zugänglichkeit und schnelle Resultate mit wenigen Einstellungen, legt aber, was die Modulationsmöglichkeiten und die verschiedenen Sounds betrifft, bereits einiges fest.

Bei einem Modular-Synthesizer kann man jedes dieser – eben - Module einzeln von verschiedenen Herstellern, in verschiedenen, manchmal fast unmöglich scheinenden Kombinationen miteinander verbauen.

In unserem Eurorack-Bereich findet man bereits eine erste Auswahl an Modulen und fertig konfigurierten Racks. Um den Einstieg etwas zu erleichtern hier noch eine kleine Auflistung der einzelnen Module, die aber mitnichten den Anspruch hat komplett zu sein.

Der A-100 von Doepfer (Quelle: doepfer.de)

Oszillator

Am Anfang der Signalkette muss immer ein Klangerzeuger stehen. Klassischerweise sind das Oszillatoren. Neben den klassischen VCO (Voltage Controlled Oscillators) gibt es komplexere Oszillatoren, die Noise-Wellen generieren oder die komplexere Verfahren wie Wavetable oder Granular-Synthese beherrschen.

Sind die Wellen erzeugt, wollen die Obertöne, also der Klang oder das Timbre geformt werden. Oft sagt man auch, dass der Filter (VCF) der eigentlich charaktergebende Bestandteil eines Synthesizers ist. Die größte Verbreitung haben hier Lowpass-Filter, wie man sie auch vom Minimoog kennt.

Modulation

Hüllkurven (Envelopes) formen den Lautstärke-, Tonhöhen oder Filter-Verlauf der erzeugten Töne. Oft wird das entsprechende Modul auch ADSR-Modul genannt: für die vier einstellbaren Parameter Attack (Einschwingzeit), Decay (Abschwingzeit), Sustain (Lautstärke) und Release (Ausschwingzeit).

Eine Hüllkurve verläuft pro getriggertem Ton immer genau ein Mal. Möchte man eine dauerhafte Modulation auf einem gespielten Ton erzeugen, beispielsweise ein Vibrato (an der Tonhöhe) oder ein Tremolo (an der Lautstärke), ist ein LFO (Low Frequency Oscillator) das Modul der Wahl.

Alles unter Kontrolle

Irgendwie müssen Töne in den Oszillatoren getriggert werden. Zwar können Modular-Synthesizer die Größe von Kleiderschränken erreichen, eine Klaviertastatur findet man jedoch sehr selten. Viel eher gibt es Sequenzer , die rhythmische und melodische vorher programmierte Figuren automatisch und sich wiederholend an die Oszillatoren schicken. Damit bleiben die Hände frei zum Kabelstecken.

Was fehlt?

Ein Case, jede Menge Patch-Kabel und ein Netzteil. Das Case muss die für Eurorack richtigen Maße haben und ein starkes und stabiles Netzteil beherbergen können, dazu das sogenannte Busboard für die Stromzufuhr der einzelnen Module.

Bei den Kabeln kann es sehr sinnvoll sein, sich unterschiedliche Farben und Längen zuzulegen, sodass man beim Tüfteln schneller zwischen Modulationstypen unterscheiden kann. Der YouTube-Kanal „The Tuesday Night Machines“, der eine hervorragende Einführung zum Thema bietet, empfiehlt zum Einstieg bei der Menge an Kabeln sich an drei bis vier pro Modul zu orientieren.

Tip Of the Noiseberg

Das Besondere an dem Aufbau eines Modular-Systems ist: jedes neue Modul macht aus eurem Synthesizer quasi ein neues Instrument. Anders als am Rechner wird jeder Sound nur genau einmal in dieser Form existieren, außer ihr nehmt ihn auf. Das macht nicht nur die Jagd nach neuen Modulen, sondern auch das Forschen nach unbekannten Sounds wie zu einer Schatzsuche. Und die verbindet.

Modulare Welt

Die Community aus Herstellern, Künstlern und Hobby-Musikern ist hervorragend vernetzt. Auf Modulargrid, das in Berlin verwaltet wird, tauschen weltweit Modular-Fans ihre Racks und Kombinationen aus; viele kleine Hersteller bieten ihre Produkte an. Die Zahlen sind eindrucksvoll. Laut Betreiber Knut Schade sind über 40.000 User auf der Seite registriert, es werden Rack-Entwürfe ausgetauscht und Module zusammengelötet. Im Forum Muffwiggler.com diskutieren tausende Nutzer aus der ganzen Welt über die neuesten Module und Produktionstechniken, einige kleine Firmen bieten über das Forum sogar ihren Produktsupport an..

Ein Lowpass- und ein Highpassfilter von Moog (Quelle: Wikipedia/Brandon Daniel

Mod-Deutschland

In Deutschland sind die zentralen Anlaufstellen im Netz die Community von sequencer.de und der Blog greatsynthesizers.com. Wie auf internationaler Ebene wird hier der Community-Gedanke großgeschrieben. Beispielsweise organisieren alljährlich Freiwillige von sequencer.de mittlerweile im 12. Jahr das Happy-Knobbing-Festival, wo man sich ein Wochenende lang trifft und seine neuesten Racks und Soundideen präsentiert. Laut Forum-Moderator Moogulator ist das Happy Knobbing vor allem als Austausch-Treffen gedacht, weniger für Besucher und Performances.

Die hiesige Modular-Szene besteht aus Studio-Besitzern mit großen Modular-Racks, enthusiastischen Hobby-Bastlern, verschiedensten Künstlern, Ein-Mann-Betrieben und Platzhirschen wie Doepfer. Und sie hat in den letzten Jahren enormen Zulauf erfahren. Ausgelöst wurde der Boom einerseits durch die zunehmende Vernetzung, durch fallende Preise der einzelnen Module andererseits. Moogulator ist zwiegespalten über das rasante Wachstum der Modular-Szene: einerseits müsse man die aktuelle Mode um Modular-Synths kritisch sehen, da nun Leute auf den Zug springen würden nur wegen des Hypes, andererseits begrüßt er die Demokratisierung der Szene und die damit verbundenen gesunkenen Preise im Vergleich zu den 70ern.

Ähnlich hat sich Andreas Schneider von SchneidersLaden in Berlin geäußert. In einem kurzen Blogpost monierte er die krasse Verbreitung vieler Module auf viele Musikversandhäuser und den damit verbundenen Preisverfall. Sein Laden wolle die Preissprünge mitmachen, sei aber im Gegensatz zum Versandhandel auch ein Ort des Ausprobierens. SchneidersLaden ist so etwas wie der Tempel der Modular-Synth-Szene. Mitten in Berlin-Kreuzberg am Kottbusser Tor gibt es unzählige Module zum Probespielen und Personal, das genauso leidenschaftlich Knöpfe drückt, wie es sie verkauft.

Schneider selbst ist ein umtriebiger Kopf in der Modular-Synth-Szene und hat vor drei Jahren mit der Superbooth in Berlin die weltweit erste reine Synthesizer-Messe ins Leben gerufen. Zweite größere Veranstaltung in Deutschland ist in München die Knobs and Wires, ein Festival, das mit Performances und Workshops von Modular-Synth-Künstlern lockt. Denn das Sammeln und Verkabeln ist das eine, aber am Ende sollte man das Musikmachen nicht vergessen.

Rack to the Future

Wo geht es mit Modularsynthesizern hin, welche Entwicklungen deuten sich an? Zunächst einmal: die Branche wächst. ModularGrid hat zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikel Eurorack-Format 6696 (!) verschiedene Module von 307 Herstellern gelistet. Branchenprimus Doepfer hat laut Firmenchef Dieter Doepfer seit 2013 jedes Jahr zwischen 10% und 20% mehr Module verkauft. Die Superbooth musste in ihrem dritten Jahr auf das größere Gelände des FEZ in Berlin ausweichen, im Funkhausstudio war schlicht kein Platz mehr. Und doch wahrt man sich an allen Ecken die Bastler- und Tüftlermentalität, beäugt kritisch größere Hersteller, die mit eigenen Modulen oder Cases mitmischen, wie beispielsweise Arturia oder (mutmaßlich) Behringer.

Was sich andeutende neuere Entwicklungen betrifft, sieht Schade von ModularGrid ein verstärktes Aufkommen von digitalen Modulen als eine Veränderung und die wieder zunehmende Größe der Module. Dieter Doepfer selbst bestätigt diese Beobachtung, es gebe bei den digitalen Modulen immer komplexere Funktionen auf immer kleinerem Raum. Andere wachsende Entwicklungen seien im Bereich Live-Performance, also bei Modulen wie Performance Mixern , und bei Polyphonen Modulen zu finden. Hier habe man bei Deoepfer aktuell auch seinen Entwicklungsfokus, da werde noch einiges in nächster Zeit kommen.

Los geht's

Und die Community? Wächst und gedeiht, vernetzt sich, tüftelt zusammen. Und wer sich dem Thema als Neuling nähert: „Im Forum gibt es immer Hilfe, wenn es Fragen gibt“, so Moogulator. Na denn, Happy Knobbing.

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